Positionspapier zur nationalen Suizidpräventionsstrategie


Positionspapier der Arbeitskreise Leben Baden-Württemberg zur nationalen Suizidpräventionsstrategie

Die Arbeitskreise Leben (AKL) sind seit fast 50 Jahren als gemeinnützige Vereine in Baden-Württemberg zur Unterstützung von Menschen in Lebenskrisen und bei Suizidgefahr tätig. Insgesamt betreiben acht AKL-Vereine elf Beratungsstellen. Alle AKL sind eigenständig und nach den gleichen Grundsätzen im Bereich der Suizidprävention tätig. Zu diesen Grundsätzen gehören unter anderem ein schneller und unkomplizierter Zugang zu Unterstützung, zeitnahe Termine, jede Anfrage hat ihre Berechtigung und Hilfe darf nicht am Geld scheitern. Alle AKL bilden ehrenamtliche Krisenbegleiter:innen aus, um Menschen in Lebenskrisen zu unterstützen. Sie werden von Fachkräften supervidiert.

Die AKL begrüßen den aktuellen Diskurs zur Stärkung der Suizidprävention in Deutschland. Die vom Bundesgesundheitsministerium vorgelegte nationale Suizidpräventionsstrategie ist ein erster Schritt zur Verbesserung der Unterstützung von Menschen in suizidalen Krisen.

Um Suizidprävention auf Dauer zu stärken ist jedoch aus Sicht der AKL eine gesetzliche Verankerung sowie eine damit verbundene ausreichende Finanzierung unabdingbar. Ein gelingendes Konzept sollte auf bereits bestehende und etablierte Strukturen aufbauen und diese bei Bedarf erweitern. Dies verhindert die Entstehung einer Doppelstruktur von niedrigschwelliger und hochschwelliger Suizidprävention.

Die AKL, als suizidpräventive Vereine, bieten seit vielen Jahren solch etablierte Strukturen. Schon jetzt übernehmen die AKL viele Aufgaben, die in der nationalen Suizidpräventionsstrategie aufgeführt werden. Dazu gehören unter anderem:

  • Verbreitung von Wissen zum Thema Suizidalität durch verschiedenste Öffentlichkeits- und Präventionsveranstaltungen, z.B. am Welttag der Suizidprävention, durch Websites, Pressearbeit, etc.
  • Gezielte Prävention für die Risikogruppe der Jugendlichen durch Veranstaltungen an Schulen oder in anderen Jugendgruppen
  • Gezielte Prävention für die Risikogruppe der älteren Menschen durch Fortbildungen für Pflegekräfte sowie andere Fachkräfte aus der Altenhilfe
  • Gezielte Prävention für die Risikogruppe der Menschen nach einem Suizidversuch durch Klinikbesuche bei Betroffenen
  • Gezielte Prävention für die Risikogruppe der Hinterbliebenen nach einem Suizid durch Trauerbegleitung, Trauergruppen und Gedenkfeiern
  • Gezielte Prävention für Gatekeeper durch Sensibilisierung, Information und Fortbildung
  • Früherkennung von Hilfebedarf und Weitervermittlung an passgenaue Hilfen durch Schulung von psychosozialen Fachkräften und Führungskräften in Unternehmen
  • Online-Beratungsangebote für junge Menschen (AKL Freiburg: U25, AKL Reutlingen/Tübingen: Youth-Life-Line)
  • (Telefonische) Beratungsangebote für Menschen in suizidalen Krisen und für sich sorgende Angehörige
  • (Telefonische) Fachberatungen für Fachkräfte, auch kollegiale Supervision zum Thema Suizidalität
  • Fachlicher Austausch und Verbesserung der Vernetzung durch Zusammenarbeit mit verschiedensten Gremien auf kommunaler, Landes- und Bundesebene
  • Stärkung des Umfelds suizidaler Menschen durch bürgerschaftliches Engagement. Qualifizierung von Bürger:innen zum Umgang mit Krisen und Suizidalität

Der wichtigste Teil der AKL-Arbeit sind persönliche Beratungsgespräche. Persönlicher Kontakt und Beziehungen sind nachweislich ein essenzieller Faktor, um Menschen im Leben zu halten. Genau darum wurde vor fast 50 Jahren der erste AKL aus der Telefonseelsorge heraus gegründet.

Neben dem Aufbau eines telefonischen Krisendienstes, den die AKL befürworten, braucht es flächendeckende persönliche Beratungs- und Begleitungsangebote. Der persönliche Kontakt ist für Menschen in suizidalen Krisen elementar. Er ermöglicht haltgebende, stabile Beziehungen mit hoher Verlässlichkeit und Kontinuität und kann Krisengipfel viel zuverlässiger abfedern als eine Notrufnummer.

Die vorliegende Suizidpräventionsstrategie des Bundesgesundheits-ministeriums berücksichtigt diesen Aspekt zu wenig. Da Beziehung nicht direkt messbar ist, ist es herausfordernd, wissenschaftliche Evidenzen dafür zu schaffen. Aus der wissenschaftlichen Studienlage ist jedoch belegt, dass bei einer Psychotherapie die Beziehung zwischen Patient:in und Therapeut:in ein wesentlicher Wirkfaktor¹ für den Erfolg der Therapie ist. Dieses evidenzbasierte Wissen lässt sich auf die Arbeit der AKL übertragen.

Die Arbeit der AKL lässt sich in der vorgelegten Umsetzungsstrategie zur Suizidprävention in Deutschland im Handlungsfeld 3 – den weiteren sinnvollen Maßnahmen – verorten. Bei der finalen Ausarbeitung eines Suizidpräventions-gesetzes muss dieser Punkt deutlichere Beachtung finden. Eine Kombination mit weiteren sinnvollen Maßnahmen ist fest zu verankern. Effektive Suizidprävention braucht persönliche Kontakte. Idealerweise durch den Ausbau und die Stärkung bestehender Strukturen. Der Erfolg der AKL-Arbeit zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass über die Landesgrenze hinweg weitere suizidpräventive Akteure die AKL Haltung und Arbeitsweise adaptieren.

Zusammengefasst lassen sich folgende Positionen konkretisieren:

  • Wir fordern eine Differenzierung zwischen niedrigschwelliger und hochschwelliger Suizidprävention
  • Wir fordern einen paritätischen Aufbau sowohl von niedrigschwelligen als auch von hochschwelligen Angeboten der Suizidprävention auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene
  • Um tragfähige Strukturen zu schaffen, braucht es dringend eine verlässliche bundesweite Koordinierungsstelle mit klarem Auftrag seitens der Politik!
  • Die bisherige Strategie im Bereich der Suizidprävention erleben wir als mangelhaft. Dies liegt
    an unkonkreten Empfehlungen der Nationalen Suizidpräventionsstrategie des Bundes sowie an
    fehlenden Finanzierungsvorschlägen
  • Es braucht einen gelingenden Aufbau von digitalen Angeboten im niedrigschwelligen
    Suizidpräventionsbereich
  • Die Säule „Zivilgesellschaftliches (ehrenamtliches) Engagement“ sollte stärker berücksichtigt
    werden

Die Mitglieder des Sprecherrats der AKL in Baden-Württemberg stehen gerne der Politik bei der
Ausarbeitung eines Suizidpräventionsgesetzes zur Verfügung mit ihrer gesammelten Expertise aus fast 50 Jahren Suizidpräventionsarbeit.

Im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeitskreise Leben
Dr. Alena Rögele (AKL Nürtingen-Kirchheim e.V.)

Der Sprecherrat der AKL in Baden-Württemberg
Stefan Hannen (AKL Freiburg e.V.), Kerstin Herr (AKL Reutlingen/Tübingen e.V.), Grit Kühne (AKL Stuttgart e.V.), Dr. Alena Rögele (AKL Nürtingen-Kirchheim e.V.)

Kontakt: lag@ak-leben.de

 

Quelle

¹Norcross, J. C., & Wampold, B. E. (2011). Evidence-based therapy relationships: research conclusions and clinical practices. Psychotherapy, 48(1), 98.

 

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